Herta Müller - Die blassen Herren mit den Mokkatassen

Also ›Mokkatassen‹ ist ja auch ein zu schönes Wort, rein optisch. Und wenn man es eine Minute vor sich her spricht, klingts wie Musik, man könnte dazu beatboxen. ›Herren‹ muß man Fränkisch oder Österreichisch aussprechen, denk ich mir, damit es zur Geltung kommt. . . Und dieserart kann es Wort für Wort weitergehen, denn die Gedichte, welche die nachmalige Literatur-Nobelpreisträgerin im Buch versammelt hat, kommen daher wie Erpresserbriefe: Collagen Wort für Wort, geschnipselt, geklebt, grafisch durchdacht versteht sich. Es dauert einen Moment, bis man sich eingewöhnt hat.
Worüber schreibt Herta Müller? Nun, ganz wie ein Erpresserbrief fordert auch ihre Lyrik etwas, sie setzt den Leser in eine Skepsis und Distanz, sie macht ihn zum Opfer und zum Inspektor, bis… Ja ›bis‹. Die kurzen Texte besitzen eine Gabe und nicht selten ist man überrascht, die Abstraktion an einem unbestimmten Punkt überwunden zu haben und ertappt sich dabei, sich mit dem Erpresser zu identifizieren. Eine Art Stockholm-Syndrom das anschließend wieder forttherapiert werden muß. Inhaltlich sind es meist Erschütterungen, die Müller hervorzieht, Weichen in Lebenswegen, Liebes- und Leidmomente, Zufälligkeiten, allesamt in surreale, manchmal verspielte, immer jedoch ›beruhigte‹ Retrospektiven verpackt. Ruhig, weise und beinah kühl werden hier die Leichen aus dem Keller geholt, verpaßte Gelegenheiten seziert, Allzumenschliches pointiert. Hintenrum durchs Genick.
Hin und wieder nervt es, daß Herta Müller ständig diese Art Haken schlägt. Haken, Ecken, Fransen, Stufen – all das ist kantig und hart, vielleicht wie unsere Zeit, wie moderne Architektur, wie Funktionalismus, nur auf einer anderen Ebene. Damit reiht sie sich in die moderne Poesie ein (Exkurs), von der ich manchmal denke, daß ihr das Mäandern und der musikalische Fluß abgeht, aus dem sie gewachsen ist. Mit anderen Worten: Sie will weniger im Gefühl denn in Gedanken wachsen und wachen. Weniger in der Bewegung als in der Betrachtung (Exkurs Ende). Das mag man finden wie beliebt. Natürlich spielt Müller verschiedene Töne, nie ist sie laut, jedoch stets direkt, gefeilt oder rauh; eindeutiger Klang vom ersten bis zum letzten Moment. Natürlich ist Müller auch Profi und hintertreibt genau dies. Und sie reimt. Dankenswerter Weise ist bei ihr der Klang nicht bloß Klammer der Konstruktion.
Das Büchlein bleibt unbestreitbar ein Lese- und Augenvergnügen und ist obendrein ein Kompendium logophilen Feuerwerks, daß es eine Freude macht:
»… die streuen den Verdacht ich könnte schon die nächste Nacht mit dem leisen Wassertaxi von einem Aug ins andere fahren …«
»… wenn niemand schaut dann tauschen wir Hals über Kopf die Haut …«
»… und der Mann fragte mich hast du Bohnenbeine warum nur sagte ich als kämen schwimmend alle Gärten über mich ich habe keine …«
»… ein Kasten und darin liegt das Echo vom Nachlassen der Straßen …«

Manchmal freilich wurde mir beim Lesen bange vor einer Autorin, die signifikant häufig von Hunden, Mokkatassen und von Zähnen schreibt. Ja, Zähne. Es dominiert der herbe Geschmack zwar reifer und einfühlsamer aber eben brüsker oder nüchterner Fraulichkeit. Das lyrische Ich in Müllers Texten – eine hagere, schmallippige, etwas versteinerte Dame in meiner Vorstellung – weiß immer ganz genau was es will (auch wenn es ihm verwehrt bleibt), bis ins Detail. Und dieses Segmentiert-Sein wiederum schlägt durch: Es gibt viele Grenzen, zwischen den Wörtern, was eine Wirkung erzielt, die erstaunlich und beabsichtigt ist. Die Texte lösen sich im Kopf zu einem Silbenrätsel auf. Einzelne Wörter & Bilder bleiben, aus denen man Kühlschrankmagneten machen könnte. Ein kurzweiliges wie anhaftendes kleines Werk.


kantig und erpresserisch


Herta Müller - MokkatassenHerta Müller: Die blassen Herren mit den Mokkatassen, Carl Hanser Verlag, München 2005.









Kommentare

Gute Rezension. Macht Lust, das Buch erneut zur Hand zu nehmen.

— Sebastian Kelber · 15.10.10 · #