Neulich die Sache mit dem Toaster

Neulich die Sache mit dem Toaster - Neulich 07 - somabeatEigentlich hatte ich vor, einmal zu testen, wie überwacht das Internet wirklich ist, indem ich hier in meinem Blog verkünde, daß ich demnächst Amok laufen werde. Nur… wem hätte ich drohen sollen, welcher Institution? Dem Amt (egal welches?), wirklichen oder auch potentiellen Arbeitgebern, der Kita, oder der Allgemeinheit? Na jedenfalls kam dann die Sache mit dem Toaster dazwischen & irgendwie erleichtert mich das.
Vielleicht beginnen wir so: Zufällig kenne ich eine Töpferin – nennen wir sie Gretchen –, die unlängst auf dem Töpfermarkt eine fabelhafte Bekanntschaft machen durfte. Das Flair dort war ein Gemisch aus Biobratwurst, einem sonnensatten Anflug von Herbstweh und gemächlicher Neugier, schwebte allerdings auf einem Teppich leicht hyperaktiver TamTam-Musik …und war, von oben, gedeckelt durch einen Hauch von Provinz. So ›dazwischen‹ gewissermaßen. Jetzt mal abgesehen von der ganzen Keramik… Gretchen jedenfalls machte sich an ihrem Stand zu schaffen, da schlenderte ein mittelalter Herr herbei, zu dem der Name Wolfgang bestens paßt: Kurzer Hals, dicke Brille, darin Augen wie Fische in einem viel zu kleinen Glas. Mit Herrentasche. Und diese fettgrauen Haarsträhnen. Kein Assi. Eher so ein DDR-Onkel. Einer von denen, die immer näher an dich heran rücken, während sie dir was erzählen.
Gretchen versuchte es mit Körpersprache, bis sie ihn schließlich verbal auf Abstand halten mußte. Wolfgang entschuldigte sich routiniert und ignorierte die Angelegenheit. Er kramte ein paar Tonröhren aus dem Täschchen und erklärte (langatmig), daß er eine Töpferei suche, in der er solche Röhren feuerfest brennen könne. Diese hier hatte er nämlich selbst fabriziert, aus Soft-Ton, der sich im heimischen Herdofen backen läßt. Für seine Zwecke reiche das aber nicht aus, und zeigte auf die zerbrochenen Zylinder, kleine deformierte Dinger in seiner Hand; ein Schamane hätte die Zukunft daraus gelesen. Die Röhrchen dienten zur Ummantelung der Glühdrähte und seien bisher sämtlich zuschanden gegangen, jedesmal wenn er seinen Toaster eingeschaltet hatte – …
Richtig, Toaster. Man stelle sich einen Typen vor, der auf dem Töpfermarkt die Stände abklappert, weil er seinen Toaster reparieren möchte. (Legitim ist das natürlich, aber sicher ganz außergewöhnlich selten.) ›Toaster also‹, dachte Gretchen da. Ein Toaster ist ein elektrisches Gerät zum Rösten von Brot, besonders von Toastbrot (www.wikipedia.de, s.v., Zugriff 21.09.2009). . . Äh, möglicherweise wird das der Sache nicht gerecht, wir versuchen’s noch einmal: Der Toaster – jeder kennt ihn, jeder hat ihn. Mancher wird von seinem Geruch geweckt, am Wochenende, wenn fluffige Weißbrotscheiben lieblich schmurgeln, mit dem Kaffeeduft tändeln und als verheißungsvolles Frühstückskomposit ins Bett und in den Abspann unserer Träume kriechen. Jawohl, ein Toaster ist ein Traum, ein Segen. Selbst Schwarzbrot aus dem Gefrierfach verwandelt er in rustikale Gaumenfreuden.
Was dabei nicht jeder weiß: daß das Wort ›Toast‹ nur um Weniges britischer ist als das Wort ›Handy‹. Ist auch völlig klar, weil ja schon die alten Römer (och die!) ihr Brot geröstet liebten, weshalb torreo – torrui – tostum, tostum das Partizip des lateinischen torrere ist, in der Bedeutung ›rösten‹ oder auch ›dörren‹. Durchs Rösten verpaßte man dem Brot quasi eine Drainage und machte es damit haltbarer. So gesehen eine zugleich nützliche Errungenschaft. Allerdings gab es damals noch keine Toaster, und-! man vermißte sie auch nicht.
Gretchen wies Wolfgang darauf hin, daß er für höhere Temperaturen den geeigneten, will heißen: den echten Ton brauche, was Wolfgang aber schon wußte, deshalb war er ja da. »Kauf dir doch einfach einen neuen Toaster«, sagte sie, »die Dinger gibt’s doch schon ab zehn Euro, oder so…« Na und da wurde Wolfgang richtiggehend niedlich und eröffnete ihr, daß es sich hier um eine Sache handelte – das mit der Reparatur des Toasters –, die er nun mal machen mußte. Man müsse nämlich wissen, daß…, tja also, daß das erste Patent für einen Toaster 1906 ein gewisser George Schneider aus Detroit beantragte, nachdem kurz vorher brauchbare Heizdrähte entwickelt worden waren. Sei’s drum. Bei besseren Toastern (in der High-End-Sparte sozusagen) ist der Heizdraht von Isolierröhrchen aus Kieselglas oder Keramik umgeben. . . M-hm! Stimmt, man hätte sich auch wundern können, was das für ein Toaster ist, mit extra verpackten Heizdrähten. Hat man so was je gesehen?
Ist schon komisch, das viele Gewese um ein simples, unscheinbares Gerät. Und dabei hat ein Toaster eigentlich etwas Parasitäres und irgendwie Armseliges an sich. Wie auch all die anderen monofunktionalen Küchengeräte. Ein Toaster kann schließlich nur toasten und beansprucht dafür eine ganze Steckdose. Obwohl…, der bekannte Armstrong Perc-o-toaster konnte seinerzeit gleichzeitig Brot rösten und Kaffee kochen. Und auch an der üblichen Monofunktionalität ließ es sich variantenreich austoben: Es gab Klapptoaster, Einhäng-, Flachbett- und Wendetoaster, Drehtoaster, ja sogar Karusselltoaster, bei denen die Brotscheiben um eine Achse rotierten und herrlich gleichmäßig von allen Seiten sich bräunen ließen – was für ein Flair!
Freilich, früher umschwebte den Toaster ein luxuriöser, avantgardistischer Ruch. Zu Beginn der Elektrifizierung beispielsweise war Strom noch fürs Licht gedacht, nicht für zweifelhafte Geräte, deren Nutzen die Geschichte erst erweisen mußte. So wurden die Stecker der ersten Toaster tatsächlich in Lampenfassungen geschraubt. (Wieso fallen mir jetzt Ostfriesenwitze ein…?) Hinzu kamen die anfänglich hohen Strompreise und die üblichen Vorbehalte gegen neue Technik.
Unser Wolfgang hier, ein paar Generationen später, liebte diese Technik so sehr, daß er seinen Toaster eben reparieren mußte, und zwar mit selbstgekneteten Tonröhrchen. Konnte er nicht oft genug betonen und rückte dabei dem Gretchen weiter auf die Pelle. Die hatte irgendwie was anderes zu tun. Ja, sie habe sowieso keinen frischen Ton parat, da soll er mal in der Werkstatt vorbeikommen, da kann er das kriegen.
Und Wolfgang kam in die Töpferei, tauchte einfach auf wie eine zweite Epiphanie, ein paar Tage später. Wieder hörte sich Gretchen die ganze Geschichte an, wieder – »warten Sie, ich zeig’s Ihnen grad mal« – die zerborstenen Soft-Ton-Zylinder, und wieder sie einen Schritt zurück, und er einen vor, sie zurück, er… – Auf der Suche nach Fachberatung und, en passant, möglicherweise auch nach seinem persönlichen Distanzempfinden; so daß beide fast eine komplette Runde um das Regal mit den geschrühten Stöfchen drehten. Jadelicht stand müde in den Fenstern, außen von Weinranken angegrünt, innen in schweren, feuchten Staub gefädelt. Gretchen sah sich schließlich gezwungen, die ruppige Schiene zu fahren, versuchte, den Typen so schnell wie möglich abzufertigen, was Wolfgang aber nicht die Bohne irritierte. Am Ende vermachte sie ihm einen speckigen Batzen Frohnsdorfer Ton und wähnte sich damit erlöst.
»Was soll das kosten? 50 Cent? Ho ho ho!« Gluckern wie von Schlamm auf seinem kurzen Hals. Ein halber Euro, das war ja so gut wie nix für die Reparatur seines Toasters. Das war geradezu schäbig, grenzte an Beleidigung! – Nein, nicht sie beleidigte ihn, also Gretchen den Wolfgang, sondern er ihn, Wolf seinen betagten Toaster, der aus einer Zeit kam, da Qualität noch ihren Wert haben mußte. Und – nicht daß Sie was andres denken – Wolfgangs Toaster war zwar ein älteres Semester, jedoch keiner von den ganz Alten. Keines dieser Dinger, die vom Benutzer verlangten, daß er sein Brot manuell wende, nur um ihm dann die Finger zu versengen. Aber aller Anfang ist schwer, bekanntlich…, ja hm. . . Hingegen Wolfs Gerät – seine ›Maschine‹ – datierte etwas jünger und besaß bereits eine Einrichtung zur Bräunungsgrad-Regulierung. Per Bimetall, dessen Verformungsgrad mechanisch vorgegeben werden konnte. Ja-haaa! Damals hatte der Toaster seine Klassik, seine große Zeit. Da war ein guter Toaster noch ein echtes Luxusgut! Und der Erfindungsreichtum der Konstrukteure sprach Bände über die Begeisterung und Sorgfalt, die der ›Maschine‹ entgegengebracht wurden. Man denke an den Toast-O-Lator aus den 40ern, den ersten Durchfahrtoaster der Welt. Das Brot wurde auf der einen Seite aufs Fließband gelegt und kam auf der andern geröstet wieder heraus (so ähnlich, wie sie’s am Flughafen mit dem Handgepäck machen). Oder der sogenannte Pop-Down-Toaster, der die Scheiben nach unten auswarf. Na das fetzte doch mal! Glorreiche, legendäre Modelle waren vorausgegangen. . . und. . .
Gretchen qualmte der Kopf. Auch sie war vorausgegangen, zur Tür, wo sie Wolfgang an die frische Luft setzte und ihm weiter viel Freude wünschte (so allgemein wie möglich).
Boah Wolle! Endlich war sie ihn los. Aber sicher würde er sie bald wieder heimsuchen und seine Werke präsentieren. Vielleicht sogar den Toaster, die Seele hellauf, die Augen hinter der Brille feucht wie Fischmünder. Wird schwärmen wie ein Wellensittich von Australien. Toaster hier, Toaster da, Toaster-Heißerassassa! O bewunderungswürdiges Kulturdenkmal. Erinnerst Du Dich…? Als in Vollkommenheit gerösteter Toast noch werbewirksam war. Und Dein Siegeszug, als die Amis 1927 einen nationalen Toastermonat ausriefen, hach… Damals tüftelte jeder halbwegs normale Junge an selbstgebauten Brotwendemechanismen, nicht wahr? Die Produkte waren ehrlich & profund, im oberen Preissegment dazu noch exquisit. – Was für eine schillernde, großartige Dekadenz: protziges Design, das Dekor in Handarbeit, Porzellansockel im Blumenmuster, Ziselierungen, verchromte Brillianz. . . Aber Ach & Weh, schau jetzt auf Dich, geliebte Maschine! Keine aufwendigen Verzierungen mehr, statt dessen Spröde, Sachlichkeit. Heute kommt man Dir allenfalls noch mit technischen Spielereien. Kikifax wie Lasersensoren gegen ›unsachgemäßen Gebrauch‹. Man kann Muster und Texte auf das Weißbrot brennen: ›Schatzi‹ vielleicht, oder ›Morgenmuffel‹, ›tostum ad libitum‹… Und jetzt? Jetzt steht der Toaster da, in seiner alltäglichen Verkommenheit: Ein Mauerblümchen inmitten der Blütenfülle der Technik, ungeschminkt, voller Krümel, wie Schuppen von einer intimen Hautkrankheit. Wo ist sie jetzt, die ganze üppige Pracht der unterschiedlichen Toastersorten? Aus Monofunktionalität ist Monotonie geworden, billige Pop-Up-Toaster ohne Esprit fristen in den Haushalten ihr Schattendasein, standardmäßig mit freiliegenden Glühdrähten, Plastik & Korrosion. Wo sind die Luxusausführungen geblieben, um die sich am Wochenende die Familie versammelte, die eine Reparatur noch zu einer ehrenwerten Sache machten?
Okay, okay. Statt zu lamentieren, ziehen wir an dieser Stelle einfach mal Konsequenzen. Versuchen wir eine neue Definition: Ein Toaster ist ein heruntergekommenes Luxusgut, dem entweder mehr Sorgfalt und Wert gebührt, oder das abgeschafft gehört. Beides idealistischerweise. Ich meine, man kann ja auch die Brotscheibe übers offene Feuer halten, auf heiße Steine legen, oder von außen an den Ofen kleben meinetwegen. (Das ist gar nicht so abwegig, das ist höchstens traditionell.) Und Gretchen könnte mit ihrem Brennofen leicht umsatteln – von Ton zu Toast sind es schließlich nur drei Buchstaben. Na ja…
Zu guter Letzt noch eine Feststellung: Nicht alle Wolfgangs würden ihren Toaster reparieren. Das mußte noch gesagt werden. »Na dann Toast, Wolf!«

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