Neulich mit Herakles am Scheideweg

Neulich mit Herakles am Scheideweg - Neulich 10 - somabeatHeroisch ist unsere Lebenswelt momentan nicht gerade, aber daran sind wir möglicherweise nicht selbst Schuld. Dennoch mag es mancherorts im Lande und in zeitkritischen oder auch retrospektiv geeichten Köpfen eilfertig tönen: ›Helden braucht die Welt! Helden fürwahr, wie sie Kampf, Gefahr, Not oder strenge Winter hervorbringen. Unseretwegen auch der Klimawandel oder eine neuerliche Völkerwanderung.‹ Als nun unlängst der gestrenge Herr Winter einen Anfall von Warmherzigkeit bekam, und die Sonne mildes Erwachen über der Stadt verstreute, verschlug es mich in den Treptower Park. Das Wort ›Treptow‹ mag der experimentierfreudige Leser einmal jemandem laut vorsprechen. Guckt der Jemand dann komisch, ist entweder man selbst oder der Jemand ein Nicht- bzw. ein Neuberliner, je nachdem. Denn womöglich spricht der Nicht-/Neuberliner »Träpto« oder gar »Träptoff«, wo der Eingesessene ein breites »Treeptoo« intoniert (das lange ›O‹ in Wiederholungszeichen, leichtes Decrescendo). Man kann auch eine Gleichung dafür aufstellen. Der Bezirk Treptow war früher ein Käfig an der Grenze zu West-Berlin, ein unförmiges Stück Landkarte, ein Ostrakon, welches die Spree in die Linien des Klassenfeindes gespült hatte. Aber zum Glück wurde die Grenze dann von lauteren Helden überwunden, die sich getrost dem Klassenfeind angliederten. Juchuuh! Als neuem Altberliner zog mir dieses durch den Sinn, während ich durch den Park scharwenzelte und schließlich das russische Ehrenmal wiederentdeckte. Noch mehr Helden. . .
Dem sowjetischen Engagement im zweiten Weltkrieg zu Ehren wurde dieses stalinistische Prachtwerk errichtet, und da die neuere Geschichte glücklicherweise nicht immer und nicht alles der älteren Geschichte zu vertilgen berufen ist, steht es noch heute, ragt ins falbe Frühlingslicht, ist begrünt, gepflegt, trotzt und protzt, wie es ihm zugedacht ward. Und Wanderer, kommst du nach Treptow, wirst du eiserne Kränze hier liegen sehen. Die Pforte des Geländes bilden zwei überdimensionale, aufeinandergerichtete Zacken – man ahnt schon, wie futuristischer Charme im Stile von Kampfroboteranzügen mit der irdischen Gewalt & Sprödigkeit von Granit sich hier vermählen. Wow! Dem Wandelnden oder Ehrgedenkenden öffnet sich jetzt eine wohlstrukturierte Ebene, die so ihre Symbole und Wuchten hat, deren Einfriedung, nein, nicht von Hakenkreuzen geziert, sondern mit einem Band russischer Sterne zaunpfahlwinkt. Der Ort an sich ist freilich viel zu groß und zu übermenschlich, um dem Gedenken an nur einen, einen ganz einfachen Rotarmisten als Projektionsfläche zu dienen. Und sicher ist das beabsichtigt. Eine hier kantige und da klotzige Gesamtanlage, die ebenso für Massenveranstaltungen geeignet ist wie sie auch als Ruine gut taugen würde: Olivenbäume, die sich um Stufen krallen, Geckos, auf den ernsten Häuptern der Soldatenskulpturen ihren Geschäften nachgehend, das Ganze ins Rumoren der Zikaden eingelegt. – ›Wie in der Antike!‹ dachte ich da, was ja auch das naheliegendste war. Im finalen Fluchtpunkt dieser mehr oder weniger geschickten Themenarchitektur prangt eine goldgefaßte Inschrift und verkündet, die Russen hätten anno dazumal ›die Zivilisation Europas‹ vor der faschistischen Tyrannis gerettet, jawohl. Wir erinnern uns, daß ja auch die Athener praktisch im Alleingang Europa vorm Joch der Perser bewahrt haben wollen und gleichfalls die Spartaner mit ihrer eigenen Version aufwarteten. Aber die waren bloß zu Dreihundert, heißt es. Na und daß da an den Thermopylen, vor Salamis, und und und, sogar in Marathon noch ganz andre Griechen auf die Perser eingedroschen haben – ja klar; und daß alles wie immer eine Verkettung von Zufall und genutzten Möglichkeiten war (historisches Wollen) – na logo. Bestreitet ja gar keiner. Wiewohl es graviert sich stets derjenige am tiefsten in die Geschichte ein, der die Propaganda macht, und sich Propaganda leisten kann. . .
Zurück am Treptower Ehrenmal darf der Besucher in beschwerlichem Gedenken einen Tumulus erklettern, hinan zum Allerheiligsten. Innen eine kleine Halle mit Wandbild und frischen Blumen, außen wie ein gestürzter Pudding. Und auf dem Pudding thront oben ein eherner russischer Soldat, ein adretter Typ, wie er ideeller keinem Lehrbuch enthüpfen konnte. Er führt ein Schwert in der massigen Hand (obwohl ich nicht glauben kann, daß die Sowjets im WK II mit Schwertern kämpften), den Fuß auf einem zerschlagenen Hakenkreuz – uuuund Tusch: Im Arm trägt er ein Kind. Was für eine Illustration! Was für eine Geste! Doch wiederum entrückt hier das Heldenhafte & Makellose, das Übermenschliche. Keine Identifikationsfigur, keiner von uns, wie vielleicht ein Pappsoldat beim Popeln.
Insgesamt, das muß man aber sagen, wird der antikisierende Besucher des Ehrenmals gleich auf den ersten Blick an die Anlage der Ara Pacis unter Augustus seinerzeit erinnert. Klar wie Kloßbrühe. Wir reden natürlich von der ausgeklügelten Komposition aus Friedensaltar samt Bildwerk, welches Fruchtbarkeit und Eintracht unter Roms Fittichen verkündete, und jenem Obelisken, den Augustus nach seinem Sieg über Ägypten von dort besorgt hatte. Der Obelisk fungierte als dreißig Meter hoher Zeiger einer Sonnenuhr, die in den Boden graviert war und zugleich ein Kalendarium darstellte. Am gefeierten Geburtstag des Princeps wies der Schatten just in die Mitte der Ara Pacis. Na, geschnallt? Augustus als Friedensbringer. Außerdem lag die Ara Pacis auf einer Achse im Marsfeld, die ulkigerweise direkt zum Mausoleum des Augustus führte. Die modernere Propagandaarchitektur kommt nicht ganz so ausgefuchst und vielleicht weniger dreist daher. Immerhin finden sich auch in Treptow sinnreiche Reliefbilder, und was von den Römern noch mit überbordender Hingabe gestaltet wurde, frönte in den Nachkriegsjahren eher gröberen, düsteren Geschmäckern. Die Darstellungen führen aus russischer Sicht durch die Kriegsgeschichte: angefangen beim Wortbruch Hitlers in Sachen Nichtangriffspakt, über den deutschen Blitzkrieg (drohende Fäuste gegen Bomber), Partisanen mit Granaten und Gewehren in zersprengten Häusern gegen die Übermacht vorpreschender Panzer, Bewaffnung, Befreiung (Polen wird freilich nicht erwähnt), Sieg… An den Stirnseiten der Reliefs diktieren sowohl in Russisch als auch in Deutsch wenig schillernde Zitate J. Stalins den Sinn: Motivation, Heldentum, Bürde der ganzen Nation und nochmals der Nichtangriffspakt. Klar gehört der rein, und so heißt es wieder: »Wie im alten Rom!« – bellum iustum! Man hat uns angegriffen, wir haben zurückgeschlagen und sind – ups – irgendwie ganz aus Versehen zur Weltmacht geworden.
Nachdem ich bereits in einem anderen Blog Russen bzw. einen Rußlanddeutschen im Visier hatte, und seitdem auf unserer Webseite die Hits mit russischer Kennung bedenklich ansteigen, ist hier vielleicht der Ort zu sagen, daß ich überhaupt nichts gegen Russen habe. Außer der üblichen Vorurteile und Klischees, und daß ich schon mal mit Slawistikstudenten Pellmeni gegessen und mit echten Rußlanddeutschen Wodka getrunken habe, verbindet mich weder Ablehnung noch Euphorie mit diesem ehrenwerten Volk. Doch halt, ich gestehe: Vor Putin habe ich Angst, weil der ist wie ein zweiter Augustus. Na sei’s drum. Daß hier wieder Russisches ins Thema wächst, ist reiner Zufall. Und dem Zufall muß man eine Chance geben – mein Lieblingsleitspruch zur Zeit. Was fürderhin das Ehrenmal betrifft, sind Deutsche ja nicht ohne Grund weniger empfänglich für den patriotischen Sinn als die russische Seele.
Ich erinnere mich. Weniger zufällig denn staatlich verordnet pilgerte ich schon im zarten Alter mit einer Armada von Erst- bis Viertklässlern zum Treptower Ehrenmal. Ich weiß zwar nicht, ob wir Pionierhalstücher trugen und einen Appell zelebrierten, aber ich weiß noch ziemlich genau, daß ich ernstlich verwundert und beeindruckt war, daß der Soldat auf dem Pudding ein Kind in den Armen trug. Sicher, Kinder stehen für Zukunft, auf einer kryptographischen Symbolebene mit Sinn für Zynismus vielleicht auch für Nachkommen aus Vergewaltigungen. (Autsch! Das war jetzt ganz bestimmt nicht politisch korrekt, aber ich sitze indes keinem Bund der Vergewaltigungsopfer vor – ä-ähem… ich merk schon, wie ich mich zwischen Skylla und Charybdis manövriere!) Zumal wir damals selbst noch Kinder waren, erzählte uns unsere Klassenlehrerin Frau Thiema (Name geändert, könnte aber zufällig derselbe sein) im vollen Bewußtsein ihrer ideologischen Funktion eine warmherzige Mär vom sowjetischen Gutmenschtum, das uns allen zum Vorbild gereichen sollte. Dieselbe Frau Thiema übrigens, die im Klassenzimmer ideologisch weniger verbrämt mit dem Schlüsselbund nach uns warf. Warmherzig, hm?
Da fällt mir ein, wie ein Freund neulich die Theorie aufstellte, daß wir deshalb im Gegensatz zu Westkindern unseres Alters eine verschlossene, mißtrauische Teilgeneration seien, weil unsere systemgeprägten Eltern aus Sorge uns rieten: »Paß auf, was du sagst draußen. Verbau dir nicht die Zukunft!« Solches gilt für Kinder verfolgter oder systemresistenter Eltern unmittelbar vor der Wende, für Kinder konformistischer Eltern vielleicht unmittelbar danach. Geisteshaltung durch Ideologie. Schlimm, schlimm & kein Ende in Sicht. »Na hallo!« rufe ich da den ewigen Nörglern zu. »Wir können froh für unsere Kinder sein, daß Deutschland diesbezüglich so gut dran ist heutzutage. Hier fehlte jeder Harm.« Jawohl. Die Kinder von heute trudeln auch nicht von einem System ins andere, sehen sich nicht plötzlich ungewohnten Freiheiten gegenüber, saugen Errungenschaften wie Mülltrennung oder Internet mit der Muttermilch auf.
Die Kinder von heute haben Schmackes. Und sie haben Pläne. Der größere meiner beiden kleinen Söhne gibt regelmäßig kund: »Papa, ich habe einen Plan.« Egon Olsen würde vor Neid erblassen! Jetzt hat er den Plan gefaßt, daß wenn er groß ist (langfristige Planung), er sich einen Wohnwagen kauft und dann darin wohnt, weil er dann überall wohnen kann, wenn er Lust hat. Tja, und ein bißchen Nomadismus-Erfahrung kann möglicherweise nicht schaden in der Zukunft. Überhaupt sind heutige Kinder in gewisser Weise perfekt für die Zukunft präpariert. Und damit das nun nicht nur nach Vaterfreuden klingt, füge ich ein ›automatisch‹ hinzu (tricky). Next Generation eben. Da erklärt mir ein 4jähriger, daß im Zigarettenrauch ›böshafte Vitamine‹ drin sind. Ganz gegenwärtig ist auch, daß Windmühlen Strom machen, und man würde mich wahrscheinlich schief angucken, erzählte ich, daß die dereinst Mehl mahlten. Interessant ist weiter, daß für Kinder viel-zu-tun-haben noch vollkommen identisch mit Probleme-lösen sein kann. Gewiß, gewiß: dies ist der Spiegel der Gegenwart, jedoch nicht nur. Aber ist das wirklich signifikant für diese Generation? Irgendwie drängt sich mir zugleich die Vorstellung auf, die Erwachsenen der Zukunft hätten nur fette Spatzen, Amseln und Meisen in den Vorgärten hocken, weil die Eltern der Kinder heute denken, ihnen alles bieten zu müssen, und im Winter den Piepmätzen immer ordentlich Meisenknödel vors Fenster hängen. Das Zeug enthält Rindertalg. Der Vorgarten unserer Kinder quasi, in dem dann die Kinder von morgen trotz Malariapräventien unter Moskitonetzen spielen werden, umringt von schwerfälligen, runden Vögeln, ist vielleicht ein Vorgarten in Treptow, gleich an der Ostsee. Am Rummelsburger Bodden um genau zu sein… – Aber nein, das geht zu weit, das schaut außen vor- und innen rückwärts. . . Die Kinder von heute spielen in der Kita einstweilen ›Flugdinosaurier‹ oder unterhalten sich über das Hühnerauge, welches jemandes Papa an der Sohle drückt. Vom künftigen Heldentum zunächst noch keine Spur.
Apropos Helden. Batman ist natürlich auch ein Thema. Der ist nämlich ne Fledermaus. Und der schläft nämlich nie. Woraufhin das Kind bis in die Puppen aufbleiben möchte, so daß man ihm eben die Geschichte von Argos Panoptes berichten kann. Der bewachte für Hera die in eine Kuh verwandelte Io, wofür es äußerst praktisch war, hundert Augen zu besitzen. Ein Teil schlief, während der Rest wachte. Aber Hermes der Lümmel lullte Argos mit Flötenspiel vollends ein & tötete ihn, so daß Schwerenöter Zeus… – usw. Kürzlich wurde ich dann mit der Frage konfrontiert, warum mein Sohn neben Batman, Spiderman, den Powerrangers und Käpt’n Sharky wohl ausgerechnet die Medusa kennt (und welchen Nutzen dieses mythische Wissen für die Zukunft birgt). Ich weiß bis heute nicht, woher er wußte, daß die Medusa böse ist und Schlangen anstatt der Haare hat, aber doll fand ich’s schon. Okay, er ist das Kind eines Althistorikers (jetzt isses raus), aber bis zu dem Zeitpunkt hatte ich nichts damit zu tun, ich schwöre! Oder Zeus‘ Blitz soll mich augenblicklich niederstrecken.
Nach einer Version sollte Perseus das Haupt der Medusa besorgen für Polydektes, der mit der Hoffnung schwanger war, daß der starke Held dabei draufgeht, um sich an dessen Mutter vergehen zu können. Nach einer anderen Version erhielt Perseus von Athena den Auftrag, weil die Gorgo ihre Schönheit über die Athenes stellte. Ausgerüstet wurde Perseus dazu mit geflügelten Schuhen, die ihm Volle-Karacho-Geschwindigkeit verliehen, einer Tarnkappe und einem Ranzen zum Transport des tödlichen Gorgonenhauptes. Der Perseus – ohne Zweifel ein antiker Superheld mit Spezialausrüstung. Mal sehen, was für ein Equipment moderne Superhelden so auffahren. Batman nennt z.B. ein Batmobil sein Eigen (volle Karacho!) und solch Schnickschnack wie den Batgürtel oder – jetzt kommt’s: den Baterang. Der Geldsack Bruce Wayne kann sich’s ja auch leisten. Spiderman hat einen besonderen Spinnensinn und vermag irgendwelche Netzflüssigkeit zu versprühen.
Aha! leuchtet uns da das Erkennen heim. Also auch die Superhelden – im Prinzip wie in der Antike! Nennen wir das Kind doch beim Namen: Überhaupt kommt alles und jedes aus der Antike. Das deutsche Wörtchen ›Tür‹ genauso wie Backgammon, das heliozentrische Weltbild oder schnöde Geldwirtschaft. Nein? Noch nicht überzeugt? Mag sein, daß der Gedanke anders herum besser klingt. In der Antike war alles schon so wie heute. Oder? Ja-haa, von der Sache mit den Frauen & den Sklaven mal abgesehen, und von der technischen Elaboration. (Wer mir das jetzt glaubt, sollte nicht Geschichte studieren.) Der Mensch im allgemeinen hat ja auch gar keine Zeit sich zu ändern! Er fängt immer nur an, sich zu ändern, und zack! ist sein kurzes Erdendasein vorbei. Wie langlebig hingegen sind da Ideen, Konzepte und Formen gesellschaftlichen Zusammenlebens.
Der antike Prototyp des Superhelden ist zweifelsohne Herakles. Der kommt auch in Sachen Equipment am archaischsten daher. Er rannte lediglich im Löwenfell und mit Keule durch die Kante und brauchte sonst nichts weiter, als mit purer Kraft und Schläue zu punkten. Zwischendurch darf er sich am Po kratzen. Achilleus kann schon mit echten Superhelden-Spezereien aufwarten; er war unkaputtbar, weil seine Mama Thetis ihn mit Ambrosia gesalbt in den Unterweltsfluß Styx tunkte. Nur zu dumm, daß da eine verwundbare Stelle übrig blieb, wo Mama Thetis das Knäblein festhielt. In diesem Sinne archetypisch haben ja gleichfalls moderne Superhelden ihre Achillesferse. Für Superman alias Clark Kent zum Beispiel hat das Kryptonit eine verheerende Wirkung.
Doch freilich bleiben bei der Fortentwicklung des Superheldenkonzepts die Unterschiede nicht aus. Die antiken Superhelden hatten beispielsweise gar nicht den Anspruch andauernd gleich die ganze Welt zu retten. (Bei den Powerrangers übernehmen das sogar Teenager.) Im Altertum wurden lediglich ferne Gegenden bereist, Bestien aus heute wie damals unbedeutenden griechischen Landstrichen getilgt, den Hesperiden ein paar Äpfel geklaut oder diese oder jene weibliche Wohlgestalt gerettet oder geraubt. Odysseus endlich hat nur sich selbst gerettet und am Ende seine treuherzige Gattin. Gleich die ganze Welt retten? Das kam den Alten nicht in den Sinn, wer weiß, sie hatten augenscheinlich weniger Angst um die Welt als die Moderne. Zu Recht! Na ja… Damals regierte eben ein ganz andres Weltverständnis. Auch Altruismus schien nicht in Mode gewesen zu sein, das muß man zugeben. Herakles abenteuerte schließlich nicht selbstlos von den Quellen der Donau bis zum Hades, um die Welt von vielgestaltigen Biestern zu befreien, sondern sein Streben richtete sich auf die Unsterblichkeit. Überhaupt neigten gerade die griechischen Helden zu einer reizenden, mehrdimensionalen Amoralität, die sie dem gemeinen Menschen nahe brachte (ganz wie ihre Götter). Sie waren Rächer und Glücksritter, ihr soziales Verhalten war nie übermenschlich. Fast möchte ich sagen, sie zeichneten sich dadurch aus. Nix da mit geretteten Kindern im Arm; Herakles meuchelte gar die Sprößlinge seiner ersten Frau! Theseus wiederum ließ die Ariadne einfach auf einem Eiland zurück, »ach schönen Dank auch für den Faden«, so ein Flegel, und von des Achilleus Blutrausch wollen wir gar nicht reden… Inzwischen retten sich allerdings auch die modernen Superhelden wieder mit einem erfrischenden Hang zur Ambiguität auf die Leinwand: Batman als ›Dunkler Ritter‹ oder Spiderman als sein eigener Racheengel Kingpin. Und dann gab’s da unlängst diesen Film, an dessen Namen ich mich nicht erinnere, dessen Superhelden aber sich als schöne Schurken, perfekte Sozialtrottel und machtgeile Existenzen entpuppten.
Ein weiterer Unterschied zum Altertum besteht darin, daß heute keiner ernsthaft behaupten würde, ein Enkel von Superman zu sein. In der Antike waren Superhelden einfach eine Bereicherung für die Stammbäume stolzer Häuser, eitler Beamter oder bedeutender Säbelrassler. Wie genealogisch verbrieft das Ganze war, war eigentlich egal, solange man es nur oft genug betonte und tief genug in die Familiengeschichte eingravierte. Antike Propagandisten scheuten sich nicht, einen Anspruch auf (Welt)Herrschaft unter anderem mit exquisiten Vorfahren zu legitimieren. Je nach gewünschter Aussagekraft war man dann mal mit diesem Heroen, mal mit jenem Gott verwandt. Augustus war ein Meister darin, solche Beziehungen sinnfällig zu promoten. Alles kein Problem: Helden als Genom-Spender, Helden als Potenzierungen menschlicher Stärken und Schwächen, Helden zum Anfassen. Helden als unkomplizierter Spiegel des Weltverständnisses. . .
Hier schleicht sich jetzt abermals ein ›apropos‹ ein: Apropos Weltverständnis, um genauer zu sein, politisches Weltverständnis. Heutigentags hat die politische Literatur, oder noch allgemeiner, der politische Intellektualismus, ja der; dieses Dingsbums hat heute (nicht nur in Ermangelung konkreter Angriffspunkte oder Vertrauen in Ideen) vorwiegend das Globale und Eschatologische im Blick. Umweltzerstörung, Menschenrechte, Artenschutz, Ressourcenknappheit… Das ist einerseits lobenswert, weil umfassend und superheldenhaft nach der modernen Prägung. Andererseits hat hier jede Kritik und jeder Konstruktivismus etwas breiiges und unbestimmbares, so daß man derlei wirklich nicht immer in den Mund nehmen oder ins Hirn geschmiert kriegen möchte. Unsere Altvorderen vom Mare Nostrum waren in dieser Hinsicht viel konkreter, angriffslustiger, mithin würziger. Man bezog derbe Position, ach muß das schön gewesen sein, wenn man nur zwischen entweder/oder wählen mußte (oder switchen konnte). Mann, was hat der Demosthenes gegen Philipp den II., den Papa von Alexander, vom Leder gezogen! Oder der olle Kikkero sich Schlachten geliefert, zunächst mit Catilina, später auch mit Antonius & Co. Jedenfalls ging es dabei immer um ganz konkrete Anlässe und Sachen, selbst wenn es eine Idee wie der Erhalt der Res Publica war. Denn wie das Superheldentum waren auch solche Ideen näher an den Menschen dran, fürchte ich. Okay – Herodot seinerseits war schon ziemlich global drauf. Aber im Gegenzug war er möglicherweise nicht politisch genug. Lassen wir uns von einem subtilen Beispiel auf den Geschmack bringen: Bei Herodot himself steht noch geschrieben, daß in der Schlacht bei Plataiai (Perserkriege) um die 257.000 Barbaren niedergemacht wurden, während bei den heldenhaften Hellenen insgesamt 91 Spartaner, 16 Tegeaten und 52 Athener fielen. Athener ganz allgemein. Die Zahlen sollten niemanden beunruhigen. Späteren Quellen allerdings ist dann zu entnehmen, daß die 52 athenischen Helden allesamt einer einzigen politisch-gentilizischen Gruppe angehörten, seltsam genug, die zeitgenössisch gerade zu politischem Einfluß gelangt war. Ecce. Auf diese Weise greifen Geschichte, Mythos und Propaganda ineinander, und ich warte mit Spannung auf die Dissertation eines Freundes. Hoffentlich bezieht er Position. Ein modernisiertes Beispiel verhielte sich dann ungefähr so, als seien dem 3. Reich soundso viele Widerstandskämpfer zum Opfer gefallen, und dann behaupte jemand felsenfest, allesamt seien selbstverständlich lupenreine Kommunisten gewesen. Albern irgendwie, oder? Aber nur solange man hinschaut. Trotzdem bleibt diese Art der Geschichtsklitterung politisch, wie die Geschichtsschreibung überhaupt, und gerinnt wiederum selbst zum Historikum.
Dazu paßt, wie ein Radiobeitrag mich vor kurzem informierte, daß das heutige politische Gedicht nicht mehr kämpferisch und angriffslustig sei, so als habe der allgemeine Weltbrei, anonym und divers wie er ist, der Lyrik die Lust an der Offensive genommen. Wagt keiner mehr was. Und was soll man auch wettern, gegen Guido Westerwelle meinetwegen, wo er solch ein liberaler Sozialfasch…ingseumel ist, obwohl (oder weil?) er schwul ist? Bringt doch alles nix, mit Kikifax halten wir uns nicht auf. Nicht kleckern. Klotzen. So wie beim Bau des Träptoffer Ehrenmals.
Dorten deutelt der Besucher aus der Flugbahn der Raben die Auferstehung der Helden herbei, derer es früher offenkundig sehr, sehr viele gab, daß man sich im Ernst fragt, wo denn nun die Helden von heute & morgen bleiben. Ich finde, eine Frage der Propaganda und nicht der Auspizien. Man könnte sie beinahe vermissen, die Propaganda. Immerhin reicht die Klugheit unserer Kinder oft an die Schläue der antiken Heroen heran. Aber wir müssen aus ihnen nicht gleich Helden machen, indem wir sie mit Bratschenunterricht, 13 Sprachen, Karate oder Rindertalg imprägnieren. Uns selbst fiel es schon schwer mit dem Heldentum, und möglicherweise wird es gar keine Helden mehr geben, genauso wenig wie Berufungen, ewige Liebe, Universalgelehrte, unentdeckte Strukturen des Irdischen oder feste Plausibilitäten. (Das ist düster, was?) Und dann fragt sich, ob der Ruf nach Helden zeigt, daß wir der Freiheit nicht gewachsen sind. Oder – ein ungleich wohligerer Gedanke – daß die Freiheit so viele Helden hat, daß sie gar nicht auffallen. (Das erhellt uns wieder etwas das Gemüt.) Na und wenn das kollektive Bewußtsein das erkennen würde…! Das wäre echt ein historischer Zufall. Aber der braucht schließlich seine Chancen.
Zum Schluß noch ein ›waschechtes‹ politisches Gedicht.

Den Ämtswag einhülfen

Die Umständition ließ sehr zu wänschen übrig
Allet hälbe Zepter mordito
Aufgründigung der Färbigschlössung
Den kommanden Quärtalsletzten laut Schlüßbarung.

Wieder stand Abreizkämpf förmals irisierte
Und man beföhlte den Entsatz obschön man
Der Freudenspflücht sich verädigt sah
Und Rügationen zu diesem Zähpunkt unbedängabbar schämen.

Als äber der Prörugator mit den Wörkschaften
Verträchtlichungen zu fahren gedöchte
Und auf streikte Wägungen erweiste
In gleißenderweise allersülz zu Sättigheit zu kämmen

Zwischen Mönsch, Meier, Betrüb & Marktfüge,
Wo derowegen wären jene nicht genägt
Ab Solütionen zu ersünden
Zumal jä selbst Römer nicht täglich erbaut wörden wärn.

Noch indes vorgelagter Termit-Händlungen
wurde färbig verschossen.


Druckversion

Kommentare