Thomas Pynchon - Natürliche Mängel

So recht weiß ich nicht, was ich von diesem Buch halten soll.

Worum geht es? Larry ‘Doc’ Sportello ist Privatdetektiv im Kalifornien der beginnenden 70er Jahre. In erster Linie aber ist er Hippie, und zwar einer, der dem Zynismus seiner Zeit einen (praktisch vom Dope imprägnierten?) Idealismus entgegen hält. Doc läuft in Sandalen durch LA, chillt am Strand, schämt sich nicht für seinen blonden Afro und trägt Motto-T-Shirts (z.B. ‘Perlen-vor-Säue’). Bei Stress bekommt er ein psychogenes »rektales Pochen« und bei Begegnungen mit liebreizenden Damen unverblümt einen Ständer.
Zu Docs Kundschaft zählen seine Ex-Freundin, die sich um den psychischen Zustand und den physischen Verbleib ihres neuen Lovers sorgt (seines Zeichens Bauunternehmer mit einer Vorliebe für Aktdarstellungen auf Krawatten), eine Heroinsüchtige, deren Mann an einer Überdosis gestorben sein soll, von dem sie aber glaubt, er lebe noch, oder auch mal Ex-Knastis, die in Waffengeschäfte mit einer militanten, nationalistischen Organisation namens »Kalifornien erwache« verstrickt sein könnten. Dann ist da noch der zwielichtige Polizist Bigfoot, der seine eigenen Pläne mit Doc hat. Ringsherum schwirren Surfer & Rockbands durchs Szenario, User und neureligiöse Mystiker, Vietnamveteranen, ein Anwalt, der auf Donald Duck und daily soaps hängen geblieben ist, und sonstige Verhaltensoriginelle – sympathisch Gestörte aus Docs Bekanntenkreis. Er selbst ist der größte Verpeiler und der größte Checker in seinem Revier.
Auch wenn es nicht so aussieht, als ob irgend jemand Doc für seine Detektei-Dienste je bezahlen wird, legt der los, den Leuten auf den Zahn zu fühlen, und gerät dabei immer tiefer in die Machenschaften von Immobilienhaien, Polizei, Drogenkartellen, von Auftragskillern und dem FBI; alle sind sie (scheinbar) in seine Fälle involviert.

Na gut, die Detektivstory an sich ist gar nicht so spektakulär, eher schon, wie Doc sich durchs Geschehen kifft, vögelt & philosophiert, vorlaut, gewitzt, philanthropisch, und dabei so etwas wie einen roten Faden spinnt.

Am Ende ist man nicht unbedingt schlauer – außer dass man jetzt weiß, wie es in Docs Leben so aussieht, und dass man ein bisschen Hippie-Feeling und das Stampfen des Surf-Rhythmus’ aus der Lektüre mitnehmen kann (Pynchon, Jahrgang 1937, ist in puncto Summer of Love atmosphärisch, nostalgisch, aber er verklärt nicht). Und: Man darf sich prächtig amüsieren über verpeilte Aktionen, Schlagfertigkeit und das ganze Panoptikum schräger Gestalten. Nicht zuletzt erstaunt aber Docs unverbrüchlicher Idealismus.

Das wäre jetzt alles nicht sonderlich bemerkenswert – eben ein kurzweiliges, gekonnt geschriebenes Buch. Aber dieses Buch stammt aus der Feder von Thomas Pynchon!
Wer Pynchon einmal gelesen hat, weiß, wozu dieser Autor fähig ist: Sinfonien epischen Wahnsinns, garniert mit handfestem Witz. Burlesken und explizite Erotik im Wechselbad mit kristallener Sprache und existenzialistischer Sinnsuche. Alles zusammen galoppiert oder mäandert oder oszilliert oder suppt auf hohem Niveau und mit atemberaubender Kraft durch Handlungen, deren Dimensionen man nicht immer erfasst, und deren Zusammenhänge etwas Mystisches, oft Paranoides haben, indessen immer die Möglichkeit in sich bergen, gar nicht gegeben zu sein. Körperlich spürbare Spannung, zum Bersten, man könnte diese Bücher zerfleischen oder sich ihnen in einer Art sexuellen Selbstaufgabe völlig hingeben. Freunden solcher Literatur seien die Pynchon-Klassiker “Die Enden der Parabel” (Übersetzung von Elfriede Jelinek) oder “V.” wärmstens ans Herz gelegt.

Und “Natürliche Mängel”? Auch hier hat Pynchon die Verschachtelung von Anekdoten, Geschichten und falschen Fährten in die Kriminalstory aufgenommen, nur füllt diese sich nicht wie sonst mit dem (mit Verlaub) Ejakulat intellektueller und sprachlicher Orgien, was manch eingefleischter Pynchon-Leser übel nimmt.
“Natürliche Mängel” ist mitnichten ein dichter, schwerer Brocken, im Gegenteil. Ein Mangel? Pynchon hat hier sein Talent im Zaum gehalten, man fragt sich, warum? Ein Pynchon quasi, der kein Pynchon ist.
Trotzdem – bzw. eben genau Pynchon-atypisch – ist das Buch entspannt, in einem Ritt zu lesen und letztendlich sehr amüsant, das sollte hier nicht untergehen. Vielleicht wollte Pynchon einmal zeigen, dass er auch einfach nur gekonnt unterhalten kann?



bekiffter Hippiedetektiv mit hellen Momenten


Pynchon - Natürliche MängelThomas Pynchon: Natürliche Mängel. Roman, Rowohlt Verlag, Hamburg 2010.









Kommentare

http://en.wikipedia.org/wiki/Pearls_Before_Swine_%28band%29

Otto · 1.10.11 · #

Oh, danke für den Hinweis! Also eher umwegig ein Motto-T-Shirt.

— Matzen · 1.10.11 · #