Große Liebe - ein Survey

Wieviel Große Lieben gibt es im Leben? Das war die Frage.

Wo-hoho! Ein ziemliches Schwergewicht, ein Koloss von einer Frage, gravierend oder auch gravitätisch, von breitem Sockel in den Himmel gereckt, die Basis uferlos, der Schaft sich verjüngend, in der Spitze ein Haarspalt, vermutungsweise. Das ganze Gebilde dieser Frage stelle ich mir wie eine Parabel vor, gespiegelt an einer Achse, in der der Betrachter steht.

Reflektion, darum geht es hier, um unsere Erfahrungen und Erwartungen, und ich gebe zu, ihren Ursprung könnte die Fragestellung in der Erfahrung des Alterns haben. So um die 30 ist man nicht mehr ganz jung, und in stillen, manches Mal verschämten Momenten zückt man sein mentales Notizbuch, blättert und ankert den Blick an den Landmarken, die sich darin finden. Man zieht Bilanz. Der Eine mißt sich daran, was er inzwischen darstellt, der Andere an dem, wovon er träumte und wovon ihm noch träumt, der Nächste begreift, wie sehr er inzwischen für sich selbst verantwortlich ist. Realismus, Idealismus, Pragmatismus, Skeptizismus, Fatalismus, Optimismus . . .
All das – Hoffnungen, Ängste, Stolz, Reue, Energie und Lethargie – all das ist metaphysisch, spirituell, psychologisch und nicht zuletzt biologisch aufs engste (sinnstiftend) mit dem großen Thema des Menschen verwoben: der Liebe. (Vielleicht gilt hier die Einschränkung: das große Thema des “modernen”, im Pluralismus fischenden Menschen. Aber das führt an der Stelle zu weit.)

Eigentlich kam ich über einen Film auf die Frage: Robert De Niros Regiedebüt A Bronx Tale (1993), in welchem er einen fürsorglichen Italo-Papa mimt, der seinem Sohn erklärt, daß es im Leben eines Mannes drei Große Lieben gibt und man(n) sich davon keine durch die Lappen gehen lassen darf. Weil’s eben nur drei sind.
Ich beschloß also, der Behauptung aus dem Film nachzugehen und die Menschen (in meinem Umfeld ebenso wie Fremde) zu fragen, wieviel Große Lieben es ihrer Meinung nach im Leben gebe. Und genau so lautete die Frage. Ohne weitere Spezifikationen.

Im Grunde war zu befürchten gewesen, daß die Leute ins Schwadronieren gerieten, was überhaupt damit gemeint sei. Erstaunlicherweise jedoch waren die meisten der Befragten nach einem kurzen Moment der Einkehr in der Lage, eine Antwort zu geben und eine Zahl zu nennen. Im Prinzip wußten alle, was gemeint war (und die paar, die eine Gegenfrage stellten, wollten sich Bedenkzeit verschaffen). Erst im Anschluß an die ersten (intuitiven?) Antworten entsponnen sich Gespräche darüber, was denn eine Große Liebe genaugenommen ist (Partner-Liebe, ein Hobby, eine Vater-Tochter-Beziehung, eine Landschaft, in die man sich unsterblich verliebt hat, in deren Schoß man von dem Gefühl gewogen wird, zu vollem Sein zu erblühen…). Und Große Liebe in wessen Leben? (allgemein, im eigenen Leben, man könne ja Unterschiede machen, gewisse Leute sind schließlich sehr liebensfähig, andere weniger…) Usw.
Für mich persönlich (die Antwort bin ich als Initiator wohl schuldig) ist eine Große Liebe nicht identisch mit einer stürmischen Affäre, was gewiß auch “großartig” ist, sondern etwas, das alltagstauglich ist/sein könnte. Große Liebe empfinde ich für einen Menschen, mit dem ich mir vorstellen kann, mein Leben in dick und dünn mit Verständnis und Leidenschaft zu verbringen. Jemand, für den ich mich aufgeben würde, der dies aber nie von mir verlangen wird.

Als Tenor der Befragung war zu erwarten, daß es ganz bestimmt mehr als eine Große Liebe im Leben gibt, und fast alle hatten entsprechende Erfahrungen gemacht: Sicher sein kann man sich nie.
Da fällt mir eine Anekdote ein, wie ich selbst in die Verlegenheit kam, zum Ende einer Großen Liebe resp. Ehe beizutragen; und zwar in meinem bürgerlichen Leben als Callcenter-Agent. Ich telefonierte gerade mit einer resoluten Dame zwischen 55 und 65, welcher ich einen Telefon/DSL-Komplettvertrag ans Herz legen wollte. Sie ergriff die Chance, zumal sie einen freundlichen, vermeintlich gut geschulten Mitarbeiter der bekannten Firma *** an der Strippe hatte, und nahm mich für abseitige Auskünfte in Beschlag. Sie saß gerade über dem Einzelverbindungsnachweis einer Handyrechnung und wollte diverse Abkürzungen erklärt haben. Ulkig, daß ständig die gleiche Nummer angerufen wurde, wirklich ulkig, vom Handy ihres Mannes. “Da ist doch was im Busch!” unkte ich und riet ihr halb scherzhaft, einmal unter besagter Nummer anzurufen. Als ich eine Woche später wieder mit der Dame Kontakt hatte (“Besteht noch Interesse am Komplettvertrag?”), hing der Haussegen ziemlich schief. Eine Große Liebe weniger – oder mehr. Je nachdem . . .
In ähnlichem Grade perfide – um auf das Projekt Meinungsforschung zurück zu kommen – war sicherlich die Nachfrage, bei der wievielten Großen Liebe jemand gerade angekommen zu sein meint. Besonders im Beisein der jeweiligen Partner. Aber das konnte ich nur bestimmten Personen zumuten und mir sind noch keine Klagen zu Ohren gekommen, daß sich im Nachgang partnerschaftliche Zerwürfnisse aufgetan hätten.

Nun, wieviel Große Lieben gibt es also im Leben? Gemeinhin? – Eine kleine Auswertung des Surveys kann ich präsentieren:
Befragt wurden ca. 50 Personen, sicher keine repräsentative Erhebung, und es ist dem Untersuchungsdesign geschuldet (annähernde Deckungsgleichheit der Milieus des Interviewers und der Befragten), daß die meisten im Alter zwischen 25 und 35 waren. So gesehen lege ich hier eine Alterskohortenstudie vor. Die etwa 10 Befragten im Alter zwischen 50 und 70 kann man indes als Vergleichsgruppe heran ziehen.
Die durchschnittlich und mit Abstand am häufigsten konkret genannte Anzahl Großer Lieben binnen eines Lebens lag bei – tadaaa: DREI, und zwar offenbar altersunabhängig. Die Zahl Zwei wurde ebenfalls häufiger genannt (6 x), für eine einzige Große Liebe entschieden sich 4 Personen, wovon eine offensichtlich die erste ernste Beziehung führte, eine andere zwar nicht, aber aus einer Trennungssituation heraus urteilte.
Alle Nennungen größer als Drei (erstaunlicherweise nur 6 oder 7 Leute) tendierten gegen unendlich. Dies jedoch eingeschränkt in Abhängigkeit von der Lebenszeit, die leider nur eine begrenzte Anzahl Großer Lieben zuläßt. Nehme man pro Liebe eine vertretbare Dauer von zehn Jahren +/- an, könne man bei der aktuellen Lebenserwartung auf bis zu 7 kommen. Und natürlich gibt es viele liebenswerte Menschen. Wenn man sich nur genügend bewegt, begegnet man ihnen auch. Andere wollten sich nicht auf das Große einer Liebe festlegen. In unserer Verlgeichsgruppe der Älteren fand sich nur eine Person (ein ehemaliger Kneipier), die deutlich mehr als 3 Große Lieben verbuchte.
Erwähnen möchte ich noch ein Mädchen von gerade süßen 20 Jahren, die eher zufällig in die Befragung rutschte und völlig verwirrt wurde. Gewisse Inkongruenzen traten zutage. Es tut mir leid und ich möchte mich entschuldigen: Bloß nicht auf die Älteren hören!

So. Und was schließen wir aus dem Ganzen? Daß Robert De Niro Recht hatte?
Signifikant ist, daß sowohl unsere Alterskohorte der 25 bis 35jährigen wie auch die Vergleichsgruppe der – nennen wir es Elterngeneration die magische Dreizahl nannte. (Man mag mutmaßen, daß der neuronale Zugriff auf die Märchenzahl leichter fällt. Eine Befragte drückte es ungefähr so aus: “Mehr als Eins, und Zwei ist keine schöne Zahl – also Drei.”) Viel interessanter ist jedoch, daß die Gretchenfrage, also bei welcher Großen Liebe man bis dato angekommen sei, von der Elterngeneration mehrheitlich mit Drei beantwortet wurde, von den 30jährigen aber auch. Was ist da los?
a) Die Elterngeneration hat gelernt, sich nicht zu trennen (ältere Paare halten zusammen wie der Winter das Meer) oder
b) die Jungen haben umgekehrt gelernt, sich eher zu trennen, was einfacher und vielfach die bessere Lösung ist (hier könnte man die Analyse auf das angebliche Schwinden der sozialen Bindekräfte der Familie ausweiten und Beziehungen zum Pluralismus der Moderne herstellen, ohne daß ich das werten möchte…), oder
c) man verliebt sich heute öfter/schneller/einfacher, sprich: man hat mehr “Liebeschancen” (Zweifel kamen auf, als ich Blogbeiträge verzagter Mittdreißigerinnen auf brigitte.de las…), oder
d) man hält bereitwilliger etwas für Liebe, was es nicht ist, oder gibt sich “nur” mit dem romantischen Teil der Liebe zufrieden, oder
e) man geht eher eine Bindung ein in dem Wissen, daß es sich auch als Nicht-Liebe herausstellen könnte, ist aber eher bereit zu glauben, daß es Große Liebe war,
oder . . . ad infinitum.
Ich denke wir haben hier einen Fundus für diverse Individual-, Kollektiv- und Kontexthypothesen. Erhellend wäre freilich auch eine neuerliche Befragung derselben Alterskohorte in zehn oder zwanzig Jahren.

somabeat nahm das Thema übrigens zum Anlaß für unsere erste Hördokumentation. Mit dem Aufnahmegerät gewappnet zogen wir über den Campus der HU und Unter den Linden entlang und interviewten jedermann, der uns vors Miko kam und uns nicht für zu dubios hielt. Die Ergebnisse dieser Befragung sind in obige Auswertung mit eingeflossen. Allerdings modifizierten wir das “Forschungsdesign” etwas. Nach einer Aufwärmfrage (“Hinter dem Horizont geht es weiter. Wohin?”) stellten wir die Frage nach der Anzahl der Großen Lieben (ohne Gretchenfrage), ergänzten aber noch um folgendes: “Wieviel Menschen kann man hassen im Leben?” Von wegen coincidentia oppositorum.
Die Antworten: hörenswert! klick Hördoku 1


Sven Hillenkamp - Das Ende der LiebeWer sich weiter mit dem Thema befassen möchte, dem sei das vielbeachtete Buch “Das Ende der Liebe. Gefühle im Zeitalter unendlicher Freiheit” (Klett-Cotta 2009) des Soziologen Sven Hillenkamp empfohlen,

oder – wer es eher belletristisch mag:

John Berger - A und XJohn Berger:
A und X. Eine Liebesgeschichte in Briefen (Hanser 2010).







Letzgenannter wählte als Auftakt seines Buches ein Shakespeare-Zitat (Sonett 116):

Liebe ist kein Narr der Zeit …
Liebe wechselt nicht mit Tag und Stunde,
Ihr Ziel ist endlos, wie die Ewigkeit.

Wenn dies bei mir als Irrtum sich ergiebt,
So schrieb ich nie, hat nie ein Mann geliebt.



Kommentare

erich fromm: die kunst des liebens

— a · 12.09.13 · #

Jupp, auch.

— Matzen · 25.09.14 · #