Neulich beim Bewerbungsgespräch

Neulich beim Bewerbungsgespräch - Neulich 01 - Somabeat
Eigentlich hätte ich Umwelt- oder Materialtechnik studieren und Vollblutwissenschaftler werden sollen, um die Welt zu retten oder so. Aber als ich anfing zu studieren (gefühlte Pulsschläge ewiger Jugend), da konnte man ja noch glauben, daß die Menschheit eine Zukunft hätte, ein Selbstläufer auf die eine oder andere Weise… Also studierte ich Geschichte, trainierte mir harte und weiche Kompetenzen an, für die ich Verwendung hatte – tja-ha… und dann hatte der Markt keine Verwendung für mich. (Der Markt – schreckliche Fratze, aber nichts, dem man saftig in die Fresse hauen könnte.)
Zurückgekehrt ins Licht der Einsicht und eingewiesen auf den staubigen, sonnendürren Pfad der Erwerbssuche, ergab es sich kürzlich, daß ich bei einem potentiellen Arbeitgeber vorstellig werden durfte. ‘Die bekannte Firma *** sucht 23 Mitarbeiter für Neueröffnung. Auch Quereinstieg möglich’, hieß es in der Anzeige. Am Telefon dann wurde nicht ganz klar, um welche Art Job es sich handelte, „kommen Sie doch vorbei und wir schauen mal, was wir für Sie haben.”
Ja da schau ich doch mal vorbei, nicht, na da komm ich doch mal, ich armes, arbeitsuchendes Würstchen, ich komm ja schon, ich kam. Mit dem Rad. Mein Weg führte mich in das nachmittägliche Verdämmern der Stadt… – he! momentemal, es war doch mitten im Juni. Und ssuuusch! ging eine Wahnsinnssturzgeburt des Himmels nieder: Pfützen aus dem Nichts, Menschentrauben unter Vordächern, Asphaltbäche und Schrittempo auf Sichtweite mit den Kaskaden sphärischer Pfühle… Also ich war völlig naß, Scheiße.
Das Büro in der Fliederstraße endlich lag in einer schönen Stadtvilla, umgeben von gepflegten Vorgärten und Nässefetzen in der Luft. Ein hübscher Kokon. Ansonsten war ich eigentlich gar nicht zum Gespräch bei der bekannten Firma ***, nicht direkt, sondern bei einer Personalagentur, die sich auf dem Eingangsschild als ‘Bürogemeinschaft Fliederstraße’ auswies. Uiuiui.
„Tach auch!“ Ich suchte erst mal das Klo auf und hielt den Kopf unters Heißluftgebläse, wobei ich mir fast den Rücken verrenkte und hoffte, daß nur keiner reinkäme. Herr Rohrschneider, mein Ansprechpartner („Fliederstraße: Eff-ell-ie…“), der wollte mich noch nicht empfangen, jedenfalls nicht, bevor ich nicht den Personalfragebogen ausgefüllt hätte. Dazu wurde ich in einen Warteraum geführt, ein Zimmer von der Gleichgültigkeit von Oliven in einer Levantebrise, aber – Aber! Hinter einer prima einsehbaren Glaswand, ja ich war mir fast sicher, daß irgendwo eine Kamera versteckt wäre. Und dazu noch der Zeitungsständer, bestückt mit einem erlesenen Potpourri, für jeden Geschmack, mal abwarten, was sich der Aspirant greift… Der Fragebogen wollte von mir wissen, ob ich über einen eigenen PKW verfüge, wie es um meine Sprachkenntnisse bestellt ist, ob ich mit technischem Gerät umgehen kann und gerne mit Materialien arbeite usw. ‘Was bedeutet für Sie beruflicher Erfolg?’ Okay… heißt das, was mir beruflicher Erfolg bedeutet, oder wie ich beruflichen Erfolg definieren würde? Das sind zwei Paar Stiefel. Ach fuck, nicht zu viel nachdenken. Ich glaube, ich schrieb etwas von mentaler Befriedigung durch Anerkennung, abends in den Adern das Gefühl, etwas nützliches getan zu haben.
Dann war es so weit: Herr Rohrschneider holte mich in sein Büro. Ein Typ wie eine verbeulte Tonne, gedrungen aber nicht klein, hievte sich an einem Krückstock herbei – tak – tak – tak. Wie der Typ aus Highlander, also aus der Serie, nicht aus dem Film. Der, der jener geheimen Beobachterloge angehörte, die die Unsterblichen beschatteten. Dieser Typ zog immer ein steifes Bein um den Stock herum, als wäre es angebunden, genau wie Herr Rohrschneider. Aber Herr Rohrschneider war blond, eine platinierte Haarbürste zierte seinen massigen Schädel, sein Gesicht war eine grobe Kakophonie. So was von affig fand ich das ja.
Auf dem Schreibtisch vereinsamte mein Personalfragebogen, sonst gab es da nichts, nicht mal einen Rechner. (Und konnte er meine Schrift etwa lesen?)
„Sooo Herr ***, haben Sie gut her gefunden?“
„Klar, mit Rad und Stadtplan, kein Problem.“
„Ach, die Meisten finden uns nicht gleich und haben da Schwierigkeiten.“ Sein Mund brach in ein fieses Lächeln aus, von Herzen.
Hoppla, wollte der jetzt an meinen Herdentrieb apellieren, ob ich zu meinem Orientierungssinn stand? „Mit Navi oder mit Stadtplan?“
„Na gut,“ seine Finger streichelten die Schreibtischkante, „was suchen Sie denn?“
Wie jetzt? Meinen entlaufenen Hamster. „Na Arbeit.“
Herr Rohrschneider mit zirrhoseartigen Kadenzen unter der Stimme: „Und was haben Sie sich da vorgestellt?“
Ach so lief das, zumal ich das jetzt auch gern gewußt hätte. Also… „als Geisteswissenschaftler ist das ja nicht so einfach (zonk!), aber ich dachte da an Verwaltung, Personal oder Supervision.“
„Haben wir nicht.“ Bei dem Wort ‚Geisteswissenschaftler‘ hatte mein Gegenüber psychotische Würgereize bekommen, das sah man ganz deutlich. Die grausamen Besserwisserphobien seines ganz privaten Alpdrückens schwappten an sein Gaumensegel, Aschepartikel, Splitter von Verachtung.
„Ja was haben Sie denn für Jobs hier?“
„Außendienst. Nur Außendienst.“
Aha. Dieses ‚aha‘ war eigentlich kein Effekt sondern eine Rückbesinnung, als plumpse man in den großväterlichen Sessel aus der Kindheit, nur nicht so weich. Außendienst also… äh, klar, das konnte ich machen, bin ich mir nicht zu schade, oder? Hab die Wissenschaft ohnehin satt, mäh, mäh, mäh. Aber – „Worum geht’s denn genau?“
Und genau das war dem Herrn nur schwer zu entlocken. Alles was er verströmte, war brachiale Psychologie, das Kommen und Gehen der Marktmechanismen auf seinem Schirm und die eisbepackte Helle seines Teints und seiner Frisur. …Hatte Dolph Lundgren einst bei Highlander mitgespielt? Nein, das wäre absurd. . .
Die bekannte Firma ***, wie Herr Rohrschneider sich plötzlich in Euphemismen ereiferte, suchte Arbeitskräfte, die an verschiedenen Einsatzorten in der Abfallwirtschaft den Müll von Hand sortierten. Gute Handarbeit, und immer an der frischen Luft. (Nein, keine Hautprobleme…) Von Müllkippe zu Müllkippe, er meinte, es würden möglicherweise wahrscheinlich sogar Fließbänder aufgestellt. Und man bräuchte gute Materialkenntnisse, und gute Augen. Dem allgemeinen Unrat sollten bestimmte Rohstoffe entnommen und der Wiederverwertung zugeführt werden: Kobalt, Phosphor, Kadmium bla bla bla. Man fragte sich beinah, ob das nicht kambodschanische Kinder erledigen konnten… Herr Rohrschneider fand indes zu seinen ausgetretenen Pfaden zurück: „Diese Rohstoffe werden bald knapp, was glauben Sie? Deutschland ist in Sachen Rohstoffe e-x-t-r-e-m exportabhängig, nicht nur bei der Energie. Deutschland braucht Sie, Herr ***!“ Was für ein Gefühl das war!
Und während ich mir noch das Bundesverdienstkreuz auf die geistige Retina gravierte, beschloß der Rohrschneider, die Zange fester anzuziehen, Endspurt. „Ihre Gehaltsvorstellungen bewegen sich um die Zweifünf, schreiben Sie.“ Ich nickte peinlich berührt. „Das ist machbar, verrate ich Ihnen jetzt. Wir arbeiten mit einem hochmodernen Provisionssystem, das es Ihnen erlaubt, zu ihrem Sockelgehalt im Jahr locker um die 20 bis 30tausend dazu zu verdienen.“ Und es käme dabei ganz auf mich an, ich entscheide, ist das nicht toll?
Alsdann zauberte er einen Stapel Papier auf den Schreibtisch. „Hier, so sieht der Arbeitsvertrag aus.“ Sein Gesicht war zu Fayencen aus Fastweiß & gierigem Rosa verhärtet, wundgeschmirgelt um die Augen. – Wollte er mich wirklich? War es ihm egal? Oder hatte er bloß seine Quote zu erfüllen?
Ich las: Einsatz bundesweit. Hatte ich meine beiden Kinder schon erwähnt? „Nur eine Klausel, ist so gut wie immer regional.“ Leiharbeit, obligatorische Teilnahme an Umschulungen außerhalb der Arbeitszeit, . . . „Lesen Sie ruhig, lassen Sie sich Zeit… aber nicht zu lange.“ Provisionen ergingen in Gewicht des jeweiligen Rohstoffs, gestaffelt nach dem aktuellen Marktwert, rückrechenbar bis zu zwei Monaten bei Wertschwankungen ab zehn Prozent . . . „Sie können den Vertrag ruhig noch mal mit nach Hause nehmen. Aber wer zuerst kommt…, na, Sie wissen schon.“
Das wurde jetzt freilich unerträglich. Die Welt vor dem Fenster war derweil mit Abendrot vollgekleistert, aber stonewashed, unter der Wolkendecke, umgestülpte stepstones. Alles metamorph, kein roher Stoff nirgends. Jawohl, Umwelt- oder Materialtechnik hätte ich studieren sollen, oder wenigstens Wirtschaft oder Kommunikationswissenschaften, Allerweltologie. Dann säße ich vielleicht auf der anderen Schreibtischseite, dann wäre ich der hinkende Typ aus Highlander und würde händeringend Mitarbeiter suchen. Aber von Herzen.
Natürlich unterschrieb ich nicht. Ich hinterließ ein „Wünsch-Ihnen-Was“ und ein paar nasse Flecken auf dem Sessel. Draußen die kühl in die Farbe getürmte Luft hatte etwas ambivalentes. Schließlich schwang ich mich aufs Rad und pfiff Melismen radiohead‘schen Wonne-Schmerzes in die eine oder andere Einbahnstraße: I’m a Creep. . .

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